Sonntag, 4. September 2016

[Something To Think About] Offener Brief an alle Zweifler

Das ist an alle, die mir sagen wollen, dass ich doch hätte durchhalten sollen. An alle, die sagen, es wäre doch nicht so schlimm. Ich würde mich nur doof anstellen. 
Das ist an alle, die meine Entscheidung anzweifeln und sie nicht verstehen. Dieser Brief ist für euch. 

Mein Leben gleich einer dunklen Wolke, die mich gefangen hielt. Vereinzelt gab die Wolke den Blick frei. Frei auf das, was war. Frei auf das, was sein könnte. Frei auf das, was wirklich ist. Bevor sie mich wieder einschloss. Wegsperrte. Abschirmte. Gefangen mit sich selbst. Gefangen mit den eigenen Gedanken und Gefühlen. Gefangen, ohne zu wissen, wie man jemals entkommen könnte. Eine Wolke, die einem jedes Licht raubt. Jede Hoffnung. Die Luft zum Atmen. Den Willen zu leben. Die Kraft zum Kämpfen. 

Ich hatte genau zwei Varianten. 

Erstens: Aufgeben. 
Die Ausbildung. Den Job. Etwas neues probieren. Ein Neuanfang mit Hilfe von Tabletten und Therapie. In der Hoffnung, dass es weitergeht. Dass die Freude zurückkehrt. Und ich mein Leben wiederfinde. Den Kampf weiterzuführen. Und vielleicht endlich zu gewinnen. Ein harter Weg. Ohne Gewissheit, ob er zum Ziel führen würde. Ein Weg, von dem ich wusste, dass er schwierig werden würde. Aber auch ein Weg, bei dem die Hoffnung noch eine Rolle spielt. 

Und zweitens: Aufgeben
Einfach aufgeben. Loslassen. Den Job behalten und weiter darauf hoffen, dass dieses Scheißleben endlich ein Ende findet. Dass ein Raser zu schnell um die Ecke fährt und mich umbringt. Ein Irrer mit einer Knarrer, der sich mich als zufälliges Opfer aussucht. Eine Krankheit, die mich dahinrafft. Kann nicht einfach jemand kommen und das beenden? 

Ein Leben am Abgrund. 

Immer mehr Risiko. Zu nahe am Bahnsteig gehen. Wann kommt der Stoß, der mich aufs Gleis fallen lässt? Die Ampeln ignorieren. Brücken wurden zu Möglichkeiten. Balancieren auf Messers Schneide. Mit dem verfluchten Wunsch, endlich abzustürzen. 

Ich hatte also die Wahl. Zwischen Leben und Tod. Und ich habe mich für das Leben entschieden! Und weißt du, was das Bescheuerte daran ist? Diese Entscheidung ist mir verflucht schwer gefallen! Denn oft genug erschien mir der Tod als der leichtere Weg. Ich habe diese Wahl nicht leichtfertig getroffen. Ich habe lange darüber nachgedacht. Ganze Nächte durchwacht. Tag ein, Tag aus. Nacht für Nacht. Und der Wunsch danach, dass es endlich aufhört, war immer da. Und gleichzeitig war da der Wunsch nach Leben. Menschen, die ich aufwachsen sehen wollte. Menschen, die ich nicht enttäuschen konnte. Bücher, die noch ungelesen im Regal stehen. Ideen, die mir im Kopf umherschwirrten und die ich noch nicht umsetzen konnte. 

Ich will leben. 

Deswegen habe ich aufgegeben.

Aber ich habe etwas aufgegeben, mit dem ich leben kann. Das kann ich verkraften. Das kann ich schaffen. Indem ich weiterlebe. Weiterkämpfe. 

Ich bin nicht schwach, weil ich aufgehört habe, um etwas zu kämpfen, was mich letztlich umgebracht hätte. 

Ich bin nicht schwach.
Ich bin stark.
Und mutig.
Weil ich mich dazu entschlossen habe, zu leben und zu kämpfen, obwohl ich doch eigentlich sterben wollte. Und dieser Kampf kostet viel Kraft, Mut und Energie. Und es gibt immer Tage, an denen ich nicht weiß, wie lange ich noch durchhalte. An denen mir der Tod wie der rettende Ausgang erscheint. Doch ich nehme diesen Ausgang nicht. Ich gehe an dieser Türe vorbei und kämpfe mich durch das Dickicht des Lebens. Die Dornen, die Brennnesseln, die Wespen und Hornissen. Ich kämpfe mich durch, obwohl es mich verletzt. Obwohl es so sehr weh tut. 

Ich kämpfe weiter.
Für das Leben. 


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